Wir haben bereits mehrfach darüber geschrieben, wie wichtig Assistenztechnik für ein unabhängiges Leben und Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft ist. Erst kürzlich hat Apple ein erstaunliches Video mit vielen Beispielen veröffentlicht, in dem Technik, die wir alle kennen (und verwenden), konsequent zum Einsatz kommt, um Menschen mit Behinderungen im Alltag zu unterstützen. Das Video vermittelt sehr anschaulich und eindrucksvoll, wie das persönliche Umfeld passend zu den eigenen Bedürfnissen barrierefrei gestaltet sein kann.
Barrierefreiheit und Lebensqualität
Jede*r von uns hat andere Fähigkeiten. Und doch gibt es Dinge, die für uns alle gleich wichtig sind: Kontakt zu halten und Zugang zu haben, dass etwas einfach zu bedienen und zu erreichen ist, dass man leicht verstanden und als Person wertgeschätzt wird. Ursprünglich bezog sich der Begriff „Barrierefreiheit“ vor allem auf eine barrierefreie Gestaltung von Gebäuden und andere, eher statische Maßnahmen. Heute geht es darum, die Bedürfnisse und Wünsche aller Menschen ganzheitlich zu erfüllen. Kurz gesagt: Sicherheit und Lebensqualität stehen im Fokus.
„Jede*r sollte aus freien Stücken entscheiden dürfen, wann was gegessen wird, wann man ins Bett geht und wie man wohnen will. Menschen mit Behinderung haben genauso ein Recht darauf, in einer schönen Wohnung zu leben wie Menschen ohne Behinderung."
Raul Krauthausen, Autor und Aktivist
Krauthausen macht es deutlich: während wir sowohl gesamtgesellschaftlich betrachtet als auch individuell durchaus danach streben, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zu erfüllen, wird das allgemeine Recht von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung oft missachtet – selbst mit den besten Absichten. Unterstützung und Hilfe für ein unabhängiges Leben zu benötigen bedeutet nicht, dass eine Person mit Behinderungen die gesamte Kontrolle über ihr Leben aufgeben muss. Es liegt in unser aller Verantwortung, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einzugehen: zu deren ureigenen Bedingungen. Kommunikation und Respekt sind die Schlüssel zu gelungener Inklusion. Ermächtigung liegt in der Freiheit, Lebensentscheidungen zu treffen und sie konsequent umsetzen zu können. Als Gesellschaft und als Einzelpersonen müssen wir diese Ermächtigung für alle ermöglichen.
Wie erreichen wir Barrierefreiheit?
Ein breites Spektrum an Maßnahmen ist möglich: strukturell betrachtet gehören beispielsweise taktile Bodenindikatoren mit Rillen und Knöpfen als Leitsystem für nicht sehende und anderweitig sehbehinderte Menschen dazu. Software wie Screenreader sorgen für Barrierefreiheit, indem sie auf dem Bildschirm angezeigte Informationen in Sprachausgabe und Brailleschrift umwandeln. Auch spezielle Vergrößerungsprogramme können hilfreich sein. Eine Kombination aus baulichen Maßnahmen und Hardwareunterstützung ist beispielsweise ein induktives Hörsystem, bei dem ein Mikrofonsignal – wie das einer sprechenden Person in einem Hörsaal – an die Hörgeräte der Personen im Raum weitergeleitet werden kann. Es gibt Rollstuhlrampen in den meisten öffentlichen Gebäuden. Ein Rollstuhl selbst ist Assistenztechnik, die viel Barrierefreiheit bietet. Nicht weniger, aber auch nicht mehr nicht mehr.
"Vor einer Woche sprach jemand über mich als "der Rollstuhl". Ich bin aber nicht nur mein Hilfsmittel. Ich bin nicht nur "der Rollstuhl" oder "die Behinderte"! Ich bin ein Mensch, eine Person, eine Frau, eine Schwester, eine Freundin, eine Tochter und vieles mehr... Jeder Mensch ist einzigartig, und anders zu sein sollte normal sein. Vergesst das nicht!"
Saskia Melches, Aktivistin
Im öffentlichen Raum schreiben Gesetze eine barrierefreie Infrastruktur vor. Dennoch wissen wir alle, wie es ist, an einem Bürgersteig festzustecken und die Straße nicht überqueren zu können, weil Autos unseren Weg blockieren, wo sie nicht parken sollten. Wir alle wissen, was es bedeutet, vor kaputten Aufzügen und Rolltreppen zu stehen oder sich vor einer langen Treppe wiederzufinden, an der kein Weg vorbeiführt. Wir alle wissen, was es bedeutet, eine Tür nicht öffnen zu können, weil uns vielleicht die notwendigen Mittel dafür fehlen - weil wir zum Beispiel etwas tragen oder weil wir aufgrund von Krankheit oder anderen körperlichen Voraussetzungen einen Rollstuhl benutzen und keine Kontrolle über unsere Hände haben. Einige Beispiele genügen bereits. Zwar verfügen wir alle über unterschiedliche Ressourcen, um Barrieren zu überwinden. Aber Barrierefreiheit betrifft uns alle. Wir alle können also von Barrierefreiheit profitieren!
Barrierefreiheit schließt auch die Barrierefreiheit von Online-Inhalten ein
Die erste Hürde für den Zugriff auf Online-Inhalte ist natürlich, ein vernetztes Gerät zu besitzen und es entsprechend bedienen zu können. Barrierefreiheit im Internet ermöglicht es Menschen mit Behinderungen, ein Online-Angebot so einfach und selbstständig wie möglich zu nutzen. Für barrierefreies Webdesign müssen grundlegende technische Aspekte wie unterschiedliche Webbrowser-Versionen, Betriebssysteme oder Bildschirmgrößen von Geräten berücksichtigt werden. Zudem sollten die Inhalte einer Website für jeden auffindbar und nutzbar sein.
Ein barrierefreies Webdesign muss auch berücksichtigen, dass Menschen mit Behinderungen die Inhalte möglicherweise nicht gut oder gar nicht sehen oder hören können - oder anderweitig kognitiv und/oder motorisch beeinträchtigt sind. Einfache Sprache ist eine Möglichkeit, Barrierefreiheit zu gewährleisten. Für die Nutzung einer Website können technische Hilfsmittel erforderlich sein. Das World Wide Web Consortium (W3C) hat einen Standard geschaffen: Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) geben Orientierung an den verschiedenen Anforderungen an barrierefreie Websites. Die WCAG werden kontinuierlich aktualisiert und befinden sich derzeit in der dritten Iterationsphase. Barrierefreies Webdesign ist also essenziell, aber leider noch immer nicht so verbreitet, wie es sein sollte – oft aufgrund mangelnden Bewusstseins und/oder Scheu vor dem Aufwand. So richtig spannend wird es dann, wenn beide Elemente zusammenkommen: barrierefreie Gestaltung der Umgebung und barrierefreies Webdesign. Google hat erst kürzlich ein großartiges Beispielvorgestellt, wie man die jeweiligen Vorteile miteinander verbinden kann. Es gibt nun mehr Funktionen für Barrierefreiheit in Google Maps.
Lasst uns die Zukunft barrierefrei gestalten!
Zusammenfassend können wir also feststellen, dass sinnvolle Ansätze und (vor allem technischer) Fortschritt durchaus schon vorhanden sind. Für viele von uns, die täglich mit noch unüberwindbaren Barrieren zu kämpfen haben, dauert die Umsetzung notwendiger Maßnahmen aufgrund des mangelnden Bewusstseins für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen jedoch viel zu lange. Es bleibt deutlich Raum für signifikante Verbesserungen. Umgebungen jeglicher Art müssen so gestaltet werden, dass sie alle Menschen so schnell wie möglich einbeziehen. Lasst uns gemeinsam die Dinge ins Rollen bringen!
Geschrieben von Dana Meichsner